Der Mongole (2008)

Ende des 12. Jahrhunderts nimmt der mongolische Khan Esugei seinen 9-jährigen Sohn Temudgin mit auf einen Ritt zu einem verfeindeten Volk, damit der Junge sich dort eine Braut wählt. Esugei hat einst die Braut eines markitischen Khans vom Hochzeitswagen geraubt und zu seiner Frau gemacht; die Verlobung seines Sohnes mit einer Markitenprinzessin soll Frieden bringen.

Doch unterwegs rasten sie bei einem anderen Volk, wo Temudgin der ein Jahr älteren Borte begegnet. Indem er sie zur Braut wählt, vereitelt er die Friedenspläne seines Vaters. Auf dem Rückweg treffen sie an einem Rastplatz Angehörige eines weiteren Stammes. Esugei tauscht mit deren Anführer die traditionelle Schale Milch, was ihm zum Verhängnis wird: Im weiteren Verlauf des Weges stirbt er an einer heimtückischen Vergiftung.

Damit beginnen für den jungen Mongolen Temudgin Jahre der Demütigung und Verfolgung, in der er auf die Hilfe anderer angewiesen ist wie z.B. der seines Blutsbruders Jamukha, eines späteren Khans. Trotz eines bescheidenen Lebens stellen ihm nicht nur ehemalige Stammesgenossen, sondern auch feindliche Markiten nach, so dass er seine Frau Borte gleich nach der Hochzeit wieder verliert. Entgegen alle Sitten dieser  von einem übersteigerten Männlichkeitswahn beherrschten Welt bricht er eine Fehde vom Zaun, um sie zurückzuholen. Seine Gefolgschaft wächst mit seinem Ruf als  freigebiger Herr, der mit der Tradition, auf der Flucht Frauen und Kinder zu opfern, damit die Krieger entkommen, bricht. Freunde werden zu Rivalen und verbünden sich mit seinen Gegnern die nicht eher ruhen, bis er gefangen und an Sklavenhändler verkauft worden ist.

Nach jahrelanger menschenunwürdiger Gefangenschaft befreit Tamudgin sich mit Bortes Hilfe und kehrt mit ihr und ihren Kindern in die Steppe zurück. Sein Entschluss steht fest: Er will die Zerstrittenheit der Stämme und die willkürlich gelebten Sitten beenden, indem er die Völker der Steppe eint und ihnen Gesetze gibt.

Sergei Bodrov entfaltet den Mythos der endlosen Weite asiatischer Steppen in einem Bilderrausch; er macht die Kälte ebenso sichtbar wie die kurze, jähe Lebendigkeit des Sommers und zeichnet die gewaltigen Gewitter, die von Zeit zu Zeit diese Landschaften mit zerstörerischer Wuscht überziehen, als apokalyptische Szenarios. Die Bilder, die seine Kameraspezialisten Stoffers und Trofimov liefern, sind mehr Gemälde. In dieses mythische Universum, für das die Bezeichnung Kulisse einfach lächerlich erscheint, stellt er den Werdegang Temudgins vom Fürstensohn über den schutzlosen, willkürlich verfolgten Waisen hin zum Großkahn der mongolischen Stämme.

Temudgins Motivation sieht Bodrow nicht in den üblichen Elixieren “Macht” oder “Sex”, sondern im Heimweh des Jungen nach der unbeschwerten Kindheit, geschützt von Sippe und Stamm. Diesen Schutz für alle zu errichten, wird seine Motivation dafür, Einfluss und Macht zu erringen. Seine Legitimation, den Stämmen Gesetze – einfache Gesetze! – zu geben, damit sie untereinander in Frieden leben, findet er in seiner besonderen Beziehung zu Tengri, dem Gott des blauen Himmels, der höchsten Macht im Kosmos der Steppenvölker. Dabei sieht er sich, so Bodrovs Deutung, keineswegs als messianische Gestalt, sondern in seiner Verantwortung als Ehemann, Familienvater und Khan. In dieser Tradition verlangt er – und das muss man von der mongolischen Lebensweise und dem geschichtlichen Kontext her betrachten – den unbedingten Gehorsam derer, die sich nach mongolischer Sitte aus freien Stücken für ihn als ihren Herr entschieden haben. Und er bestraft auch den Verrat, der ihm nutzt, wenn gegnerische Krieger ihm ihren Herrn ausliefern – als Ungehorsam an ihrem Khan.

Es ist eine große, epische Geschichte, die Bodrov erzählt. Groß und episch, weil sie schlicht ist und elementar, wobei die üblichen simplen westlich-amerikanischen Moralkategorien gemieden werden. Wir haben es nicht mit stoischen Stereotypien zu tun, sondern mit Menschen, die um ihren Platz in ihrer Welt ringen. Dass der junge Temudgin dadurch nicht den Vorstellungen entspricht, die sein historisch bedingter dämonischer Ruf hervorbrachte, spricht für sich. Bodrov hat schließlich für die weitere Entwicklung des Welteroberers aus der asiatischen Steppe zwei weitere Filme geplant.

Bodrov erzählt seine Geschichte auch nicht in extenso, sondern indem er die Kamera die Gesichter der Darsteller studieren lässt; es sind weniger die Worte, die den Film voranbringen, als das Mienenspiel der Schauspieler. Perfekt dazu passt, dass die Rollen grundsätzlich mit asiatische Schauspielern besetzt wurden; es waren also keine exotisch geschminkten Europäer bzw. Amerikaner zu sehen, sondern “richtige” Mongolen und Kasachen neben dem japanischen Hauptdarsteller Tadanobu Asano (Zatôichi, 2003)  als Temudgin und dem Chinesen Honglei Sun (Heimweg/The Road Home, 1999) als seinem Blutsbruder und späteren Gegenspieler Jamukha. Besonders gut gefiel mir die mongolische Studentin Khulan Chuluun als Temudgins Frau Borte. Angechts ihrer enormen Präsenz selbst bei extremen Nahaufnahmen ist es kaum zu glauben, dass diese junge Frau noch nie vor einer Kamera stand!

Optisch bietet der Film ständige Wechsel von ruhigen Breitwandeinstellungen und rasanten Kampf- und Verfolgungsgszenen, kammerspielartigen Dialogen und Nahaufnahmen großer Stille. Einerseits werden Erinnerungen an Kevin Costners Dances With Wolves wach, andererseits finden in der Symbosprache Anlehnungen an Sergej Eisenstein (Iwan der Schreckliche) und Andrei Tarkowskij (Nostalghia) und in der Choreographie Elemente des asiatischen Kinos, speziell der “Martial Arts Movies” (Tiger & Dragon, House of the Flying Daggers). Ich glaube sogar, leise Anspielungen auf Akira Kurosawas Filmkunst (Rashomon, Ran)  entdeckt zu haben.

Ein gelungenes Epos, der die kulturelle Vielfalt von Besetzung und Stab spiegelt – ein Lichtblick im sonst moralgetränkten Genre des Monumentalfilms!

Regie: Sergei Bodrov
Buch: Alif Aliyev und Sergei Bodrov
Darsteller: Tadanobu Asano (Temudgin), Honglei Sun (Jamukha), Khulan Chuluun (Borte), Aliya (Oelun), Amadu Mamadakow (Targutai)
Kamera: Rogier Stoffers, Sergei Trofimov
Schnitt: Valdís Óskarsdottir, Zach Staenberg
Musik: Matt Dunkley, Maxim Koshevarov
Produktion: X-Filme Creative Pool und Kinofabrika (Deutschland), Andreevsky Flag Film Company und Kinokompaniya CTB (Russland)
Deutschland/Kasachstan/Russland/Mongolei 2007

[Offizielle Websit (engl.)] – [Offizielle Website (dt. Verleih)]