Resistance is futile!

Der technische Fortschritt ist unaufhaltsam: Aufgaben, die genausogut von Computern und Robotern übernommen werden können, werden auch von Computern und Robotern übernommen. Computer und Roboter sind nämlich absolut zuverlässig, machen alles exakt so, wie man sie programmiert hat und benötigen auch keine Zigaretten-, Kaffee- oder Mittagspausen, ja, nicht einmal einen Feierabend. Und einen Computer oder Roboter muss man zwar anschaffen und warten, aber er verursacht keine Lohnkosten, fordert keine Lohnerhöhungen und kommt auch nicht auf die Idee, eine Familie zu gründen, was dem Arbeitgeber ja auch nur Scherereien bereitet.

Die technische Entwicklung schafft natürlich immer neue Arbeitsplätze, indem sie dafür sorgt, dass eintönige, routinemäßige Arbeit von Computern und Robotern übernommen wird. Schöne neue Welt.

Diese erfreuliche Entwicklung macht natürlich auch nicht vor Bibliotheken halt, auch nicht vor den Ausgabe- und Rücknahmestellen, wo Bibliotheksangestellte sich bisher mit eintönigen Tätigkeiten plagen mussten. “Das muss doch nicht sein!”, dachten sich findige und hochqualifizierte Spezialisten und erfanden das Bibliotheksausgabeterminal, mit dem ich heute in der Leihstelle der Universitätsbibliothek Marburg vertraut gemacht wurde. Ich bin zwar weder eine Angehörige der Universität noch Studentin, aber als Autorin benötige ich während der Recherche gelegentlich sogar wissenschaftliche Literatur.

Am Schlange stehen hat sich nichts geändert. Wir befinden uns ja noch in der Einführungsphase. Noch muss sich also eine Bibliothekskraft damit beschäftigen, Bücher durch die Gegend zu schleppen. Aber sie muss jetzt schon keine Kartendaten mehr einlesen, keine Vorgänge mehr per Mausklick oder -Taste zu bestätigen und den Entleihern auch nicht mehr die Bücher auszuhändigen. Zur Zeit macht sie nur ungefähr vor, was man als Entleiher bald alles selbst machen darf, um der Bibliothekskraft eintönige Tätigkeiten zu ersparen. Das Terminal besteht aus einem berührungsempfindlichen Flachbildschirm – neudeutsch “Touchscreen” – mit darunter angebrachter Auflagefläche. Man tippt auf das Feld “Ausleihe” auf dem Bildschirm, dann zeigt selbiger an, dass man sich ausweisen soll. Das macht man, indem man seine Nutzerkarte – neudeutsch “U-Card” – auf ein kleines Feld auf der Auflagefläche legt, unter dem sich ein Lesegerät befindet. Flugs erscheint der Name des Karteninhabers auf dem Bildschirm. Nun wird man aufgefordert, die zu entleihenden Bücher auf ein anderes, größeres Feld auf der Auflagefläche zu legen, unter dem sich wohl eine Waage befindet. Nun werden die Titel, die man vorher per OPAC (auch so was Neudeutsches, aber die Erklärung spare ich mir jetzt) bestellt hat, angezeigt. Wenn man nicht zu viele Bücher aufliegen hat oder schwere Schwarten, wie sie im letzten Jahrhundert noch fabriziert wurden, dann malen sich hübsche Häkchen hinter die Angaben. Am Ende bestätigt man die Ausleihe mit einer weiteren Berührung eines Bildschirms – Quittungen kann man sich noch keine ausdrucken lassen, nimmt die Bücher und verlässt die Leihstelle.

In Zukunft dürfen die Entleiher die Bücher dann selbst aus den Entleihregalen nehmen, wo diese (hoffentlich noch immer nach den Nachnamen der Entleiher sortiert) ausliegen, und damit zum Terminal gehen. Also keine Wartezeiten mehr. Aber auch gar keine. Klaro. Das kennen wir ja alles schon von den vollautomatisierten Filialen der Kreditinstitute, die ganz ohne Angestellte auskommen.

Kontrolliert wird das Ganze dann sicherlich über Videokameras. Ohne Kontrolle geht es ja nicht. Auch in Bibliotheken wird bekanntlich geklaut. Eine zentrale Kontrollstelle ist viel rationeller: Eine Aufsichtsperson überwacht eine ganze Wand voller Bildschirme mit Bildern von den Überwachungskameras und tut eben auch nichts anderes, während früher zehn Leute zugleich eintönige Tätigkeiten verrichten und immer mal den Blick über die Nutzer schweifen lassen mussten.

Es wäre interessant zu wissen, wann sich diese innovative Investition amortisiert haben werden soll, und wie sich das rechnet im Vergleich mit den Gehältern der Bibliotheksangestellten, denen (so wurde mir gesagt) man zugesichert hat, dass ihre Stellen erhalten bleiben.

Besonders kühn an der Einführung ist die Tatsache, dass die Universitätsbibliothek in einigen Jahren umziehen soll. Das Gelände (Lahn-Schwemmland) trägt die Gebäude der UB und der Philosophischen Fakultät nicht mehr. Deshalb arbeiten Universität, Stadt, Land und Bund daran, anstelle der “Elefantenfüße” zwischen Stadtautobahn und Eisenbahn einen Campus in die Unterstadt am Fuße des Stadtberges einzugliedern. Ich möchte jetzt nicht auf die ständigen Verzögerungen zu sprechen kommen, die schon seit langem den Eindruck erwecken, dass politischer Wille dahinter steckt. Hier genügt die Feststellung, dass besagte UB, in der soeben eine umfangreiche und fortschrittliche Investition zur Entlastung der von eintönigen Tätigkeiten geplagten Belegschaft eingeführt wurde, in einigen Jahren ein ganz neues Gebäude beziehen soll. Und ein ganz neues Gebäude bedeutet sicherlich auch, dass ein ganz neues elektronisches Bibliothekssystem nötig wird, mithin die just angeschafften Ausgabeterminals zumindest angepasst, vermutlich aber erneuert werden müssen.

Lassen wir uns doch einfach überraschen, welche weiteren eintönigen Tätigkeiten von elektronischen Geräten übernommen werden können!

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